Riechen kann auch befriedigen
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Der Geruch von gesunden Entscheidungen

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Das “Belohnungssystem” unseres Gehirns, auch mesolimbisches System genannt, wurde bereits sehr umfangreich erforscht. Seine Funktion besteht darin, mit Hilfe unserer Sinne, wie z.B. dem Geruch Motivation für das Verlangen und den Wunsch nach einem belohnenden Stimulus zu schaffen.

Thorndike und die Katzen

Ein Beispiel dafür ist die operante Konditionierung, die Edward Thorndike bereits Anfang des 20. Jahrhundert an Katzen nachwies. Anders als bei der klassischen Konditionierung, welche Pawlow an seinen Hunden durchführte, hatten Thorndikes Katzen einen Einfluss auf den Reiz bzw. ihre Reaktion. Für das Experiment wurden sie in einen Käfig gesperrt, welcher von ihnen durch das Lösen eines Rätsels, z.B. das Drücken eines Knopfes, geöffnet werden konnte. Als Anreiz für das Öffnen legte er dabei, für die Tiere sichtbar, Futter neben den Käfig. Nachdem die Katzen es das erste Mal geschafft hatten, den Käfig zu verlassen und zum Futter zu kommen, setzte er sie erneut hinein. Erstaunlicher Weise benötigten sie dabei von Mal zu Mal immer weniger Zeit, um dem Käfig zu entkommen. Diese Erkenntnis brachte Thorndike dazu, sein “Gesetz der Wirkung” zu formulieren, in welchem er festhält, dass Reaktionen, die von einer Befriedigung begleitet werden, stärker mit Situationen verbunden sind als solche ohne. Diese, mit Befriedigung verbundenen Reaktionen sind dann in zukünftigen gleichen Situationen wesentlich wahrscheinlicher als jene ohne. Auf seine Versuche mit der Katze angewandt bedeutet dies, dass Handlungen, die zur Lösung des Rätsels und damit zur Belohnung durch Futter führen, in Zukunft viel eher und viel schneller von den Katzen durchgeführt werden als solche, die nicht zu Futter führen.

Katzen & Hunde

Gemeinsam mit der klassischen Konditionierung von Hunden durch Pawlow legte Thorndike damit die Grundlage für den später von John B. Watson begründeten Behaviorismus. Dieses wissenschaftstheoretische Konzept erklärt und untersucht das Verhalten von Menschen und Tieren  mit rein naturwissenschaftlichen Methoden, ohne von Selbstbeobachtung oder Einfühlung Gebrauch zu machen. Es sollte das dominante Konzept der psychologischen Forschung des 20. Jahrhunderts werden.

Riechen & Konsumieren

Einen behavioristischen Ansatz verfolgte auch eine unlängst im amerikanischen “Journal of Marketing Research” von Dipayan Biswas, Marketing-Professor an der University of South Florida und seinem Team publizierte Studie. Unter dem Titel “The Smell of Healthy Choices …” untersuchten Biswas und seine KollegInnen den Einfluss, den Gerüche von gesundem und ungesundem Essen auf unsere Entscheidung zum Konsum des jeweiligen haben. Eine ihrer Entdeckungen dabei war, dass die Dauer der Exposition dem Geruch gegenüber eine ganz entscheidende Rolle in unserer Entscheidung spielt.
Unternehmen verwenden bereits seit langem Umgebungsgerüche, um den Konsum ihrer KundInnen zu steuern. Doch Erkenntnisse auf diesem Gebiet können nicht nur Marketing-Zwecken dienen, sondern erlauben auch einen wichtigen verhaltenspsychologischen Einblick, welcher seinen Weg in eine Vielzahl gesundheitlicher Problematiken wie z.B. Sucht oder Übergewicht finden kann.

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Äpfel & Pizza

Im Zuge Ihrer Studie führten Biswas et al. Untersuchungen in mehreren Umgebungen durch. So fanden diese in einer Schulkantine und einem Supermarkt, aber auch unter isolierten Bedingungen in einem Labor statt. Gleich war dabei jeweils der Modus der Untersuchung. Die ProbandInnen, ca. 900 SchülerInnen, 61 StudienteilnehmerInnen und sämtliche KundInnen eines großen Supermarkts an einem Samstagnachmittag, wurden unwissentlich für eine gewisse Dauer einem von zwei Gerüchen, ausgesetzt bevor sie eine Entscheidung zum Konsum trafen. Unterschiedlich war dabei jeweils die Dauer der Exposition als auch das jeweilige Setting der Untersuchung. Die SchülerInnen der Mittelschule wurden in der Warteschlange der Kantine den Gerüchen von Pizza als auch Äpfeln ausgesetzt und dann mit der Auswahl von gesundem als auch ungesundem Mittagessen konfrontiert. Die StudienteilnehmerInnen hingegen fanden sich den Gerüchen von Keksen und Erdbeeren gegenüber exponiert, während sie einen Fragebogen zur Studie ausfüllten. Im Anschluss wurde ihnen beides offeriert.

Beim Untersuchungssetting im Supermarkt wurde am Eingangsbereich ein Stand aufgestellt, an welchem die KundInnen sich damit einverstanden erklären konnten, am Ende des Einkaufs ihre Einkaufsrechnung gegen einen 10$-Gutschein einzutauschen. An diesem Stand herrschte entweder der Geruch von Schokoladen-Keksen oder Erdbeeren. Als Parameter für die Entscheidung für gesundes oder ungesundes Essen diente dann der Einkauf der KundInnen laut eingetauschter Rechnung.
Gemein hatten alle drei Settings, dass die Exposition dem Geruch gegenüber entweder nur kurz (< 30 Sekunden) oder länger (> 2 Minuten) stattfand.

Geruch kann auch befriedigen

Die Ergebnisse aller drei Untersuchungen waren dieselben. Die Exposition dem Geruch von ungesundem Essen gegenüber (Pizza, Kekse & Schokoladen-Kekse) von unter 30 Sekunden führte in allen Fällen zu einem wahrscheinlicheren Konsum von diesem. Diese Erkenntnis zeigt, dass in uns durch solch eine Exposition ganz direkt ein Verlangen kreiert werden kann, dem wir durch Konsum versuchen, Befriedigung zu verschaffen. Viel spannender ist jedoch das zweite Ergebnis der Studie. So zeigte sich ebenfalls in allen drei Settings, dass die Exposition dem Geruch von ungesundem Essen gegenüber für über 2 Minuten die Entscheidung zum Konsum von diesem verringert und ProbandInnen sich eher für gesundes Essen entschieden.

Das interessante an diesem Resultat ist die Tatsache, dass es offensichtlich möglich ist, dass sinnesübergreifend eine Befriedigung stattfinden kann. Der in den ersten 30 Sekunden des Geruchs von ungesundem Essen generierte Wunsch, dieses zu konsumieren, kann also nicht nur durch das tatsächliche Essen (Geschmackssinn), sondern auch durch noch längeres Riechen (Geruchssinn) davon befriedigt werden.
Ebenfalls sehr spannend ist, dass dieser Effekt nicht umgekehrt werden kann. So führte die Exposition dem Geruch von gesundem Essen gegenüber (Apfel & Erdbeere) weder zu einer Veränderung im Konsum von diesem noch von ungesundem Essen, verglichen mit keiner Geruchsexposition.

Neue Therapiemöglichkeiten?

Während diese Erkenntnisse dazu verwendet werden können, noch mehr Einfluss auf unseren Konsum in einem marketingtechnischen Sinn zu erlangen, bergen sie auch großes Potenzial für neue therapeutische Ansätze von Erkrankungen. Überall da, wo pathologischer Konsum stattfindet (Stichwort: Sucht) oder aber PatientInnen damit konfrontiert sind, ihren Konsum gewisser Dinge einzuschränken, z.B. im Zuge einer Adipositas können, diese nützlich sein. Das Wissen darüber, wie wir dem Verlangen nach Befriedigung unserer ungesunden Wünsche Abhilfe verschaffen können, ohne sie tatsächlich zu konsumieren, kann dabei eine wichtige Waffe sein.
Wir bei Diagnosia finden es spannend, auch mal über den Tellerrand der streng medizinischen Forschung zu blicken und interdisziplinär neue Wege für die Therapie von Menschen zu finden.

Quellen
  1. Dipayan Biswas, Courtney Szocs. The Smell of Healthy Choices: Cross-Modal Sensory Compensation Effects of Ambient Scent on Food Purchases. Journal of Marketing Research, 2019
  2. USF
  3. Behaviorism