Das Digitale Konsil von Diagnosia bietet ÄrztInnen im klinischen Alltag einen einfachen Weg, mit ExpertInnen verschiedenster Fachrichtungen zu chatten, um interessante Fälle zu diskutieren und sich eine Zweitmeinung einzuholen. In den kommenden Monaten werden wir euch bei Diagnosia Insights einige unserer KonsilärztInnen vorstellen und lassen sie ein paar spannende Fragen zu ihrem Fachgebiet beantworten. Dr. Wolfgang Klug ist unser Experte für Anästhesie, Notfall- & Intensivmedizin.
Dr. Klug, die Anästhesistin bzw. der Anästhesist gilt für viele PatientInnen nur als die Narkoseärztin bzw. der Narkosearzt, die/der für die Überwachung von Operationen zuständig ist. Dabei ist Ihre Expertise gerade auch in der Intensiv- und Notfallmedizin sowie in der Schmerztherapie gefragt. In welchen Bereichen abseits des OP-Saals sind ÄrztInnen anderer Fachrichtungen besonders auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Anästhesie angewiesen?
Anästhesisten sind präklinisch, während Operationen aber auch postoperativ für die Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen und der Homöostase des Patienten verantwortlich. Dies setzt die genaue Kenntnis von Vorgängen im Körper des Patienten aber auch zu erwartende Probleme, beispielsweise hervorgerufen durch chirurgisch verursachte oder durch eine Verletzung bedingte Traumen voraus. Sollte ein Ungleichgewicht oder ein Problem auftreten, so müssen Anästhesiologen es ohne oder unter Hinzuziehung anderer Disziplinen lösen. Aus diesem Grund sind Anästhesiologen oft die zentrale Schnittstelle, die viele chirurgische aber auch internistische Disziplinen miteinander verbindet und oftmals die einzige Disziplin, die den Patienten als Ganzes im Überblick hat. Anästhesiologen sind Allgemeinmediziner, welche für jegliche Erkrankung mit oder ohne Hilfe von Fremddisziplinen immer die richtige Therapie parat haben müssen, nur mit dem Unterschied (zum Allgemeinmediziner), dass sie oftmals invasiver sein können/müssen, indem sie herznahe Gefäße punktieren, Lungendrainagen legen, Luftröhrenschnitte durchführen und Herz-Lungen-Maschinen anlegen.
Österreich gehört weltweit zu den Spitzenreitern im Konsum von Opioiden. Worauf ist dies Ihrer Meinung nach zurückzuführen und wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Der medizinische Fortschritt bringt eine steigende Lebenserwartung mit sich und mit steigender Lebenserwartung steigt die Wahrscheinlichkeit für Organdysfunktionen wie Leber- und/oder Nierenfunktionsstörungen. Dies führt oft zu Kontraindikationen von den sogenannten NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika). Aus diesem Grund werden vermehrt Opioide verordnet. Dies mag eine der möglichen Ursachen für einen erhöhten Opioidkonsum sein.
Andererseits bewegt sich unser Gesundheitssystem derzeit in eine Richtung, welche es aufgrund von Zeitnot und Mangel an personellen Ressourcen enorm erschwert, sich dem Patienten anzunehmen, der tatsächlichen Ursache des medizinischen Problems auf den Grund zu gehen. Ein praktischer Arzt beispielsweise muss an einem Tag 70-100 Patienten oder mehr durchschleusen. Hier bleibt kaum Zeit, weder um eine ausführliche Anamnese, Diagnostik geschweige denn eine Therapie durchzuführen. Dabei werden oft leichtfertig Opioide verordnet. Dennoch kann man in Österreich noch lange nicht von einer Opioidkrise, wie sie beispielsweise in den USA vorliegt, sprechen.
Das Narkoserisiko konnte in den letzten Jahrzehnten deutlich gesenkt werden. Welche Entwicklungen haben maßgeblich dazu beigetragen?
Der stattgefundene medizinische und technische Fortschritt in den letzten Jahrzehnten hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Narkoserisiko und die Rate an Narkosezwischenfällen deutlich gesenkt werden konnte. Durch Weiterentwicklung der für die Anästhesie zur Verfügung stehenden Medikamente (weniger Nebenwirkungen, bessere Verträglichkeit u. kürzere Wirkdauer) kann die Narkose individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten werden. Bessere technische Ausstattungen gewährleisten noch genauere Überwachung von Patienten während des Eingriffes und möglich auftretende Probleme können somit besser detektiert und behandelt werden.
Viele Eingriffe stellen für PatientInnen aufgrund der damit verbundenen Schmerzen eine große Überwindung dar, so z.B. elektive Weisheitszahnextraktionen oder das Einsetzen intrauteriner Verhütungsmittel. Sehen Sie in der Schmerztherapie solcher Eingriffe Verbesserungspotenzial und wenn ja, welches?
Die Zeiten, in welchen sich Patienten vor solchen Interventionen bzw. Behandlungen vor Schmerz fürchten müssen, sind vorbei. Der technische und medizinische Fortschritt ermöglicht eine schmerz- und stressfreie Behandlung durch eine Vielzahl an anästhesiologischen Verfahren nahezu überall, ob beim niedergelassenen chirurgischen Partner oder beim Zahnarzt. Verbesserungspotential sehe ich nicht in der Schmerztherapie, sondern in der Leistungserfassung bei den Krankenkassen. Eine anästhesiologische Begleitung im niedergelassenen Bereich wird nur marginal bis gar nicht von den Kassen übernommen. Das heißt, die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selbst übernehmen. Hier bedarf es zukünftig eine Reformierung bei den Krankenkassen. Somit könnten noch mehr Eingriffe aus dem Spitalswesen ausgegliedert werden, mit dem Resultat einer Entlastung der Spitäler.
Sie besitzen ein Notarztdiplom – im deutschsprachigen Raum werden Ärztinnen und Ärzte wie Sie flächendeckend in Rettungssystemen zur Notfallversorgung eingesetzt. Im angloamerikanischen Raum hingegen kommt ein Paramedic-System zum Einsatz, welches mit hochqualifizierten RettungssanitäterInnen und gänzlich ohne NotärztInnen arbeitet. Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile unseres NotärztInnen-Systems?
In Amerika müssen Paramedics ein mehrjähriges Ausbildungssystem durchlaufen und diese bringt, im Vergleich zum österreichischen System (einige Monate), eine Reihe von speziellen Kompetenzen mit sich. Vorteil dieses Systems ist sicherlich die Reduktion der Inanspruchnahme ärztlicher Ressourcen.
Vorteil unseres jetzigen Systems ist sicherlich noch der direkte Patientenkontakt durch den/die Notärztin. Neben Anamnese und objektiven Patientendaten ist es ebenso wichtig den Patienten vor Ort klinisch zu beurteilen, da dieses Bild einen enormen Einfluss und hinweisend für die richtige Therapie sein kann.
Jedoch könnten in Anbetracht des bevorstehenden Ärztemangels zukünftig Versorgungsengpässe auftreten. Hier wäre es sinnvoll und eine mögliche Variante unser System in Richtung amerkanisches System zu lenken, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten und mit Ausbau der Telemedizin die Lücke der mangelnden klinischen Beurteilbarkeit des Patienten zu schliessen.
Die Intensivmedizin ist einer der teuersten, technologisch fortschrittlichsten und Ressourcen-intensivsten Bereiche der Medizin. Es gelingt ihr heutzutage beinahe jede Funktion des menschlichen Körpers künstlich zu erhalten. Gibt es in der Intensivmedizin für Sie persönlich eine Grenze zwischen machbarem und angebrachtem Lebenserhalt?
Diese Frage ist schwer zu beantworten und man kann sie auch nicht verallgemeinern, da diese Grenze von Fall zu Fall individuell verschieden gesetzt werden muss / wird und von vielen Faktoren abhängt. Dabei spielen die Schwere der Erkrankung und der Wille des Patienten selbst, falls dieser seinen Willen noch äußern kann und die Angehörigen eine entscheidende Rolle. Wichtig ist dabei einzig und allein als behandelnder Arzt das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren und eigene Motivationen, geprägt durch die Angst als Mediziner zu versagen, nicht in den Vordergrund zu stellen. Denn im Mittelpunkt steht der Mensch und die Menschlichkeit.