Das Digitale Konsil von Diagnosia bietet ÄrztInnen im klinischen Alltag einen einfachen Weg, mit ExpertInnen verschiedenster Fachrichtungen zu chatten, um interessante Fälle zu diskutieren und sich eine Zweitmeinung einzuholen. In den kommenden Monaten werden wir euch bei Diagnosia Insights einige unserer KonsilärztInnen vorstellen und lassen sie ein paar spannende Fragen zu ihrem Fachgebiet beantworten. Dr. Matthias G. Vossen ist unser Experte für Infektiologie und Tropenmedizin.
Dr. Vossen, Sie sind Leiter der Wundambulanz der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien. Was sind Problematiken, mit denen Sie im Zuge dieser Arbeit häufig konfrontiert werden, welche jedoch leicht vermeidbar wären?
Viele der Wunden, die wir sehen, beginnen als Bagatelltraumata. Der Klassiker sind kleine „Cuts“ durch Koffer, Rollatoren, Rollstühle oder Türen und Möbel. Viele Patienten ignorieren diese kleinen Verletzungen, und wenn dann eine CVI (Chronisch venöse Insuffizienz) oder pAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit) dazu kommt, entwickeln sich rasch große Ulcera. Rasche professionelle Versorgung auch kleiner Wunden und konsequentes Tragen von Kompressionsstrümpfen bei CVI könnte hier viel Leid verhindern.
Fernreisen und die damit verbundenen, tropenmedizinischen Impfungen stellen für viele eine große Verunsicherung dar. Da die Impfungen oft auch mit erheblichen Kosten verbunden sind, ist die Risikoabwägung einer Infektion oft ein Thema. Wie kann man hier Ihrer Meinung nach am besten vorgehen?
In Wahrheit sind die Impfkosten selbst bei „vollem Programm“ ja minimal im Vergleich zu den Reisekosten. Wer hier sparen will, muss sich fragen, ob ihr/ihm die „verhagelte“ Reise durch einen impfpräventablen Infekt (oder auch nur die Angst davor – Stichwort Tollwut) nicht mehr weh tut als das Geld für eine Impfung, die ja meist auch für die nächsten Tropenreisen noch wirkt.
Trotzdem sollte man jetzt nicht blind „alles“ impfen. Eine fundierte reisemedizinische Beratung kann helfen, Impfkosten zu sparen. Wer zum Beispiel in ein Resort nach Süd-Thailand fährt, braucht neben dem regulären Impfschutz, wie man ihn auch hier haben sollte, kaum zusätzliche Impfungen.

Im Ostkongo ist es im letzten Jahr zum geschichtlich zweitschwersten Ausbruch des Ebolafiebers gekommen. Was macht das Ebola-Virus so gefährlich?
Am liebsten möchte ich provokant mit „die Medien“ antworten. Ein Großteil des subjektiven Gefährdungsempfindens ist sicher aufgebauscht. Wir haben genügend Infektionserkrankungen, die um einiges gefährlicher sind, bei denen aber trotzdem die Impfbereitschaft zurückgeht. Besonders die Masern sind ja, anders als Ebola, hoch ansteckend. Aber Ebola ist ein Virus, das hämorrhagisches Fieber auslöst, das ist natürlich sehr dramatisch, und wir gruseln uns halt gern.
Trotzdem sollte man Ebola ernst nehmen, für die dortige betroffene Bevölkerung und das helfende medizinische Personal ist das eine sehr bedrohliche Erkrankung. Das liegt daran, dass hämorrhagische Erkrankungen auch mit moderner Intensivmedizin eine große Herausforderung für die behandelnden Ärzte darstellen und für Ebola bis vor kurzem keine Impfung oder Therapie verfügbar war. Erschwerend kommt hinzu, dass in den betroffenen Gebieten eine konsequente Quarantäne erkrankter Patienten schwer aufrechtzuerhalten ist.
Rezente österreichweite Ausbrüche von Masern haben erneut die nicht flächendeckende Durchimpfung verdeutlicht. Gibt es Gründe, eine flächendeckende Durchimpfung anzustreben? Bei welchen Infektionskrankheiten, gegen die eine Impfung möglich ist, wäre dies besonders wichtig?
Die Masern sind, wie ja oben schon angedeutet, eine schwerwiegende Erkrankung, die vor allem massive Spätschäden nach sich ziehen kann. Im Kontrast dazu steht die gut verträgliche Impfung. Das Paper, auf das sich viele Impfgegner in ihrer Argumentation beziehen, wurde vom Autor selbst zurückgezogen, nachdem er zugegeben hat, bei der Datenerhebung betrogen zu haben.
Gerade in unserer Gesellschaft, die sich sehr auf moderne Medizin stützt, gibt es viele sehr infektanfällige Patienten. Menschen nach Knochenmark- oder Organtransplantation, Menschen mit Immundefekten oder Unverträglichkeit von Impfungen sind auf den Herdenschutz in der Gesellschaft angewiesen. Es hat etwas mit Solidarität zu tun sich impfen zu lassen, damit andere geschützt sind. Dafür sind leider viele zu egoistisch.
Sicherlich sind die Masern derzeit das drängendste Problem, das heißt nicht, dass wir nicht anstreben sollten alle impfpräventablen Erkrankungen auszurotten, so wie wir es bei den Pocken geschafft haben.
Ein Grund für die teils mangelhaften Durchimpfungsraten sind Menschen, die Impfungen ablehnen. Welche Gründe sind Ihrer Meinung nach dafür verantwortlich und halten Sie eine Impfpflicht, wie sie in Teilen der Erde bereits besteht, für eine wegweisende Strategie?
Menschen, die Impfungen ablehnen, tun dies in der Regel aus Angst. Das Internet erlaubt die rasche Verbreitung von Verschwörungstheorien, das hilft sicher nicht, die Angst zu lindern. Ich denke ein gesundes Wissen über Impfmechanismen und auch die durch die Impfung verhinderten Krankheiten und deren Spätfolgen wäre wegweisend. Zwar würde es mich in den Fingern jucken, wenn ich über eine Impfpflicht entscheiden dürfte, in Wahrheit leben wir aber in einer liberalen, aufgeklärten Gesellschaft, ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass man seine Mitmenschen mit vernünftigen Argumenten erreichen kann. Leider gibt es ja aber auch Kollegen, die das notwendige Wissen haben sollten, die ihren Patienten abraten. Da wird mir dann schon ganz anders.
Antibiotikaresistenzen werden derzeit immer relevanter und gefährden die zukünftige Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Wo sehen Sie im klinischen Alltag Verbesserungsbedarf, um Resistenzen zu vermeiden?
Am besten würden wir uns an Paul Ehrlich halten: hart und schnell zuschlagen. Das bedeutet zum Beispiel Amoxicillin/Clavulansäure-Präparate nicht 2x, sondern, wie fast jedes andere Beta-Laktam auch, 3x täglich zu geben. Das verkürzt die Zeit bis zum Ansprechen auf die Therapie, sodass – und auch das ist neu – die Therapie früher abgesetzt werden kann. Den Rest erledigt das Immunsystem. Der wichtigste Ansatzpunkt ist aber sicherlich die Therapievermeidung: Antibiotika sind keine Antipyretika und keine Antitussiva – sie haben bei einer Bronchitis oder einer akuten (unkomplizierten) Sinusitis nichts verloren.