Turnusarzt
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Interview mit einem jungen Turnusarzt

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Irgendwann steht allen MedizinstudentInnen der Einstieg in den Beruf bevor. Die Anforderungen und die neu gewonnene Verantwortung können eine große Herausforderung darstellen. Wir haben einem jungen Turnusarzt aus Wien ein paar Fragen gestellt, der seit etwa einem Jahr das Studium abgeschlossen hat und nun auf einer klinischen Abteilung tätig ist.

Als junger Arzt sieht man sich am Beginn seiner Karriere mit vielen neuen Herausforderungen konfrontiert. Was war für dich die größte?

Meiner Meinung nach ist es heute deutlich leichter als früher, nach dem Studium in den Beruf einzusteigen. Während den kurzen Famulaturen kann man sich gerade einmal einen Überblick über die Abläufe der Station verschaffen. Das ist mittlerweile mit dem KPJ (Klinisch Praktisches Jahr) wirklich besser geworden. Man hat vor dem Einstieg schon ein Jahr gearbeitet, man weiß, was einen erwartet, da man auch sieht, wie die Turnusärzte arbeiten. Man weiß auch, wie hoch die Verantwortung ist und welche Kompetenzen man mitbringen muss. Ich glaube, man ist gut vorbereitet. Die größte Herausforderung liegt bei einem selbst, weil man am Anfang doch recht nervös und unsicher ist. Man glaubt, dass jetzt die große Verantwortung bei einem liegt und man alles selber machen muss, vielleicht allein mit den Problemen konfrontiert wird. Das ist aber faktisch nicht so.

Kannst du dich an eine Situation mit Patienten erinnern, in der du dich komplett überfordert gefühlt hast?

Ich kann mich noch an meinen ersten Tag erinnern. Da bin ich gerade auf die Station gekommen, habe mich vorgestellt und alle begrüßt. Ich sollte gleich eine Patientenaufnahme machen. Der Patient hatte im EKG supraventrikuläre Extrasystolen und einen Bluthochdruck, der nicht eingestellt war. Ich habe den Patienten dann aufgenommen, untersucht und ein Anamnesegespräch geführt. Danach habe ich den Fall kurz vor Dienstschluss an eine Oberärztin übergeben, die mir sagte: „Ja, das EKG ist auffällig und einen Bluthochdruck hat er auch. Überleg‘ dir halt, mit welchen Medikamenten du ihn einstellen kannst.“ Und dann ist sie gegangen. Das war direkt am ersten Tag eine Situation, in der ich überfordert war. Was soll ich jetzt aufschreiben? Welches Medikament, welche Dosierung?
Sonst kamen solche Situationen eher selten vor. Im Krankenhaus ist es schon so, dass man meist nicht allein ist, wenn wirklich der Hut brennt. Leider kommt es aber manchmal gerade durch Personalmangel zu Situationen, in denen man Aufgaben übernehmen soll, die über der eigenen Qualifikation liegen. Dazu gehört beispielsweise die Begleitung von überwachungspflichtigen PatientInnen, denen es sehr schlecht geht und die in ein anderes Spital oder eine andere Abteilung überführt werden.

Gibt es etwas in deinem Beruf, das bei PatientInnen auf Unverständnis trifft oder von PatientInnen falsch verstanden wird?

Ich habe es im Spital schon oft erlebt, dass PatientInnen eine Rundum-Versorgung erwarten. Da liegt beispielsweise der Patient mit dem Leistenbruch auf der Chirurgie und bittet den Arzt, sich doch auch gleich um die Zehenfehlstellung zu kümmern. Man sei ja jetzt schon im Spital und der Arzt müsse sich ja auskennen. Da fehlt manchmal das Verständnis, dass die Abteilungen eines Spitals sehr spezialisiert ein Fachgebiet behandeln und bei allen anderen Problemen an die entsprechenden Kollegen verweisen müssen. Und obwohl der Patient mit seiner Zehenfehlstellung viel besser bei einem Orthopäden aufgehoben wäre, fühlt er sich dann weitergereicht und nicht umfassend versorgt.

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Wenn du eine Sache am Gesundheitssystem ändern könntest, was wäre das?

Ich denke, es sollte im niedergelassenen Bereich eine breitere Versorgung von PatientInnen geben. Es landen einfach immer wieder Leute im Krankenhaus, weil sie beim niedergelassenen Dermatologen zum Beispiel drei Monate warten müssten, damit dieser sich eine Warze anschaut. Dann kommen sie halt lieber in die Ambulanz eines Krankenhauses, in der man – wenn auch mit langer Wartezeit – irgendwann behandelt wird. Die Dichte der WahlärztInnen ist schon gut, aber natürlich hat der Großteil der Bevölkerung nicht die finanziellen Mittel, um sich für ein kleineres gesundheitliches Problem die Vorstellung bei einem Wahlarzt zu leisten. Bei niedergelassenen ÄrztInnen bestimmter Fachrichtungen, die einen Kassenvertrag haben, sind die Wartezeiten leider sehr lang. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch immer wieder Leute im Krankenhaus, die ein falsches Gefühl für die Dringlichkeit einer Behandlung haben. Sicher ist es nicht erforderlich, eine lang bestehende Warze jetzt innerhalb von wenigen Tagen begutachten zu lassen. Viele Menschen sind auch nicht ausreichend über die Struktur der österreichischen Gesundheitsversorgung aufgeklärt. Gerade Menschen, die noch nicht lange in Österreich leben, kommen vielleicht aus einem Land, in dem das Spital die erste Anlaufstelle für jegliche Beschwerden darstellt, und gehen deshalb nicht den Weg über den Hausarzt.

In Österreich wurde unlängst eine heftige Debatte um die Arbeitszeiten sowie die Bezahlung von ÄrztInnen geführt. In welchem Verhältnis stehen diese Dinge für dich?

Persönlich kann ich mich nicht beschweren. Meiner Erfahrung nach wurde das neue Arbeitszeitengesetz in den Abteilungen, in denen ich bisher tätig war, sehr gut umgesetzt. Ich habe eventuell anfallende Überstunden immer entsprechend bezahlt bekommen. Wenn ich nach Dienstschluss länger geblieben bin, war das fast immer aus eigenem Interesse – wenn mich beispielsweise ein Fall besonders interessiert hat oder ich noch mit einem Patienten sprechen wollte. Die Bezahlung ist meiner Meinung nach sehr gut, natürlich gerade für junge Ärzte und Ärztinnen, die wie ich noch keine Familie und damit höhere Ausgaben haben.

Wenn du nochmal zurückgehen könntest und mit deinen Erfahrungen erneut vor der Studienwahl stehen würdest? Wie würde deine Entscheidung ausfallen?

Ich würde mich auf jeden Fall wieder für die Medizin entscheiden. Es ist einfach ein sehr spannendes Berufsfeld, in dem man sich immer wieder neu definieren und weiterbilden kann. Außerdem ist das Arbeiten mit Menschen sehr interessant. Die Arbeit als Arzt kann schon sehr stressig sein und ist mit viel Zeitaufwand verbunden. Ich bin aber froh, einen Beruf zu haben, wo ich es nicht in Frage stellen muss, warum ich meinen Job mache, wenn ich nach 10 Stunden nach Hause komme. Es gibt immer wieder Situationen, in denen PatientInnen dankbar sind, dass ich ihnen helfen konnte. Da wird man schon immer wieder daran erinnert, warum man das eigentlich macht. Nicht zuletzt ist man als Arzt wie gesagt gut bezahlt und hat derzeit eine hohe Jobgarantie.

Was würdest du StudentInnen raten, die vor dem Einstieg in den Beruf stehen?

Ich würde sagen: Das Rad läuft auch immer ohne dich. Das Krankenhaus ist ein großer Betrieb, in dem viele Menschen zusammenarbeiten und die Last nicht nur auf deinen Schultern liegt. Man braucht am Anfang nicht so große Angst haben, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Wichtig ist es, präsent zu sein und nicht gleich den brenzligen Situationen aus dem Weg zu gehen. Gerade in akuten Situationen sollte man Ruhe bewahren und sich auf die Basics konzentrieren, die man im Studium gelernt hat. Dazu gehören Atmung, Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Nadel setzen etc. und dann den Oberarzt holen. Solche Fälle lassen sich oft schnell auflösen und die Behandlung konzentriert sich meist auf die Basics.
Außerdem ist es wichtig, einfach den Mund aufzumachen. Viele ÄrztInnen arbeiten schon sehr lange im Krankenhaus, sind in ihrer Routine und zeigen sehr wenig Bereitschaft, einem etwas beizubringen. Wenn man aber Interesse zeigt, bekommt man aber trotzdem vieles erklärt und kann daraus lernen. Gerade während dem Studium muss man das ein oder andere Praktikum in Fachgebieten machen, die einen überhaupt nicht interessieren. Aber auch dort kann man Fragen stellen und überall etwas mitnehmen.

Wir danken für das Interview!