In unserer Reihe an Interviews mit bzw. Berichten von Expertinnen und Experten haben wir bereits die wegweisende Forschung von Dr. Elly Tanaka bewundert, ein Interview mit unserem Parkinson-Spezialisten Dr. Dieter Volc geführt und den Medical Director von Roche Austria, Dr. Johannes Pleiner-Duxneuner, befragt. Das Thema Gesundheit ist aber nicht nur für medizinische WissenschafterInnen, klinische ÄrztInnen, sowie Pharma-Firmen von großem Interesse, sondern als großer wirtschaftlicher Sektor auch für ÖkonomInnen. Dem Trend einer immer älter werdenden Bevölkerung und einer sinkenden Geburtenrate folgend, gilt es Wege zu finden eine hoch qualitative aber trotzdem nachhaltige Gesundheitsversorgung auch in Zukunft zu ermöglichen. Jedoch muss es sich hierbei nicht immer nur um blanke Zahlen drehen, wie auch unser heutiger Gastbeitrag zum Thema Opioide aufzeigt.
Ökonomie und Opioide
Ioana Lungu ist Ökonomin und für Insight Austria, das Kompetenzzentrum für Verhaltensökonomie am Institut für Höhere Studien in Wien, tätig. Ziel der Verhaltensökonomie ist es, durch experimentelle Forschung zu verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden und welche Faktoren auf die Entscheidungsfindung einwirken. Aktuelle Insights aus der Forschungseinheit teilen die MitarbeiterInnen des Kompetenzzentrums nun auch auf ihrem Blog. In einem Beitrag, welchen wir als besonders lesenswert erachten, beschäftigt sich die Ökonomin mit der Tatsache, dass Österreich den höchsten pro Kopf Opioid-Konsum weltweit aufweist. Als große VerfechterInnen von PatientenInnensicherheit durch Medikamentensicherheit finden wir dieses Thema überaus spannend und freuen uns deshalb sehr, euch diesen Artikel, hier in Form eines Features, weitergeben zu dürfen.
Mit Nudges den Opiodkonsum verringern
Ioana Lungu
Opioide sind synthetisch hergestellte Substanzen, die eine schmerzlindernde und euphorisierende Wirkung haben und zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden. Aufgrund ihres starken Suchtpotentials sind sie verschreibungspflichtig. Trotzdem werden in Österreich besonders viele davon konsumiert.
2017 berichtete der Standard, dass nirgendwo auf der Welt so viel Morphin (das bekannteste Opioid) pro Kopf konsumiert wird wie hierzulande. Österreich belegte somit Platz 1 in einem Ranking des in Wien ansässigen UN-Suchtstoffkontrollrats (International Narcotics Control Board, INCB), gefolgt von Kanada, Dänemark, der Schweiz und den USA. Auch was den Konsum anderer Opioide angeht, ist Österreich im Spitzenfeld.
Obwohl in den Vereinigten Staaten deutlich weniger Opioide konsumiert werden als in Österreich, gibt es dort trotzdem Grund zur Sorge. Ein Bloomberg Artikel vom dem Verhaltensökonomen Cass Sunstein berichtet, dass jährlich Millionen von Patienten süchtig nach Opioiden werden und Zehntausende an Überdosierungen sterben. Nudges, d.h. verhaltensökonomische Maßnahmen, die nicht auf Verbote oder Gebote zurückgreifen, könnten hilfreich sein, um dieses Phänomen einzudämmen.
Aber was ist eigentlich das Problem?
Ärzte und Ärztinnen verschreiben manchmal zu viele, oder nicht die richtigen, Opioide. Allerdings bekommen sie es oft gar nicht mit, wenn Patienten die Medikamente missbrauchen, an einer Überdosis leiden oder sogar daran versterben. In Österreich kommt es beispielsweise vor, dass gewisse Opioide, die leicht missbraucht (z.B. intravenös injiziert) werden können, sehr häufig in der Substitutionstherapie von Drogenabhängigen eingesetzt werden, wie die Presse berichtete. Es gebe zwar geeignetere Präparate mit weniger Missbrauchspotential, die werden jedoch kaum verschrieben.
Ein Experiment mit 861 Ärzten und Ärztinnen untersuchte die Auswirkungen dieses Informationsdefizits. Die Hälfte der ÄrztInnen wurde per Brief informiert, dass PatientInnen von ihnen verstorben sind. Angeführter Grund dafür sei wahrscheinlich eine Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente. Weiterhin informierte der Brief zu den Risiken einer Überdosierung mit Opioiden und schlug eine Webseite mit weiterführenden Informationen vor. Die andere Hälfte der ÄrztInnen diente als Kontrollgruppe und bekam keine Informationen ─ weder zum Wohlbefinden ihrer PatientInnen, noch zu den Risiken einer Opioidbehandlung.
Spannende Erkenntnisse
Was kam dabei heraus? Die Ärzte und Ärztinnen, die den Brief nicht erhielten, verschrieben weiter Opioide. Sie verschrieben sogar leicht mehr als vor dem Experiment. Diejenigen, die über den Todesfall informiert wurden, änderten hingegen ihr Verhalten. Sie senkten die Anzahl ihrer Verschreibungen und waren weniger geneigt, neuen PatientInnen Opioide zu verschreiben.
Die Erklärung dieser Verhaltensänderung liegt im sogenannten „Availability Bias“. Dieser besagt, dass Ereignisse, an die wir uns leicht erinnern können, unsere Entscheidungen beeinflussen. Wenn eine positive Assoziation leicht abrufbar ist, neigen wir viel eher dazu, eine positive Entscheidung zu treffen, als wenn keine direkten Erinnerungen damit verbunden sind. Das Gegenteil gilt für negative Assoziationen. Wenn also ein negatives Ergebnis in Erinnerung gerufen wird, beispielsweise ein Todesfall wegen einer Überdosierung, sind Ärzte und Ärztinnen sich der Risiken bewusster und verschreiben weniger Opioide.
Kleine Anker, große Wirkung
Eine weitere Methode, um Opioidverschreibungen zu senken, ist durch das Setzen dessen, was man in der Verhaltensökonomie einen „Anker“ nennt. Solch ein Anker können z.B. winzige Änderungen in Standardeinstellungen sein und oft schon ausreichen, um das Ergebnis zu beeinflussen. Ein verhaltensökonomisches Experiment an zwei Notaufnahmestationen in Philadelphia zeigt die Wirkung des Anker-Phänomens eindrucksvoll: Die Standarddosis an Opioiden, welche automatisch als Textbaustein in der Erstellung von Entlassungspapiere übernommen werden kann, wurde von 30 auf 10 Tabletten umgestellt. Das Resultat? Die Anzahl der Verschreibungen für 10 Tabletten ist um 22 Prozent gestiegen, die für 30 hingegen signifikant gesunken.
Umsetzung in Österreich
Solche Maßnahmen könnten auch in Österreich wirksam sein um den Opioidkonsum zu senken. Zwar berichtet Die Presse, dass Opioide in Österreich nicht im selben Ausmaß missbraucht werden wie in den USA sondern deren hoher Konsum hierzulande vielmehr auf die gute Versorgung von Schmerzpatienten und die Substitutionstherapie von Drogenabhängigen zurückzuführen ist nichtsdestotrotz ist es vor allem im Falle einer medizinischen Behandlung wichtig, Entscheidungen zu treffen, die unverzerrt (unbiased) und der Gesundheit am förderlichsten sind.
Es bleibt eine spannende Frage, wie der Gesundheitsbereich hierzulande wohl aussehen würde, wenn obige Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt würden.
Quellen
1. Die Presse – Warum werden in Österreich so viele Opiode konsumiert?
2. Der Standard – Nirgendwo wird mehr Morphin konsumiert als in Österreich
3. Bloomberg – Two Small Nudges Help Cut Back on Opioid Prescription
4. Doctor, J. N. et al. (2018) ‘Opioid prescribing decreases after learning of a patient’s fatal overdose’, Science, 361(6402), p. 588 LP-590. Available here.
5. Delgado, M. K., Shofer, F. S., Patel, M. S., Halpern, S., Edwards, C., Meisel, Z. F., & Perrone, J. (2018). Association between Electronic Medical Record Implementation of Default Opioid Prescription Quantities and Prescribing Behavior in Two Emergency Departments. Journal of general internal medicine, 33(4), 409-411.
Wir bei Diagnosia sind große Fans solcher Forschung und teilen die Ansicht, dass es wichtig ist Verhaltensmuster zu analysieren und diese auch zu überdenken. Nur indem wir dies tun können wir sicherstellen, dass die Medizin auch tatsächlich dem aktuellsten Stand der Wissenschaft entspricht und Patientinnen und Patienten die bestmögliche Therapie erhalten.