Praxisgründung
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Gesundheit ein Zuhause geben: Von der Idee bis zur ersten Behandlung

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Der Entschluss, eine eigene Praxis zu eröffnen und sich niederzulassen, wird von den meisten Ärztinnen und Ärzten bereits in den ersten Jahren ihrer Berufslaufbahn gefasst. Wir hatten nun die Möglichkeit, mit einem jungen Arzt über Praxisgründung und dem Weg aus dem Angestelltenverhältnis zu sprechen. Dr. med. Georg Willenig ist Sportmediziner, Osteopath und Allgemeinmediziner in Villach. Vor rund drei Jahren hat der gerade erst 35-Jährige eine Wahlarztpraxis in Villach gegründet.

Georg, möchtest du uns kurz deinen Werdegang beschreiben?

Ich habe Humanmedizin an der Medizinischen Universität in Graz studiert. Aufgrund meines hohen Interesses an Sport und den regelmäßigen Trainingseinheiten, unterzog ich mich schon während der Turnuszeit am LKH Villach der Ausbildung zum Sportmediziner. Der Weg zur Spezialisierung führte mich über mehrere Methoden direkt zur Osteopathie. Die Osteopathie ist für mich die effektivste Methode, um Dysfunktionen festzustellen und diese dauerhaft zu behandeln. Seit nun drei Jahren führe ich eine Wahlarztpraxis für Osteopathie, Allgemein- und Sportmedizin auf selbstständiger Basis in Villach. Außerdem betreue ich auch vier Mal wöchentlich die Osteoporose Ambulanz in Villach.

Bitte vervollständige den folgenden Satz: Arzt sein bedeutet für mich….

Arbeit und Hobby miteinander zu verbinden, Abwechslung, aber auch viel Arbeit und viel Verantwortung.

Laut der Ärztekammerstatistik 2018 gibt es in Österreich 18.253 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, darunter befinden sich 6.853 Ärztinnen und Ärzte mit Anstellung und Ordination. Wann und wie hast du dich für eine Praxisgründung entschieden?

Bereits in der Studienzeit und durch Famulaturen habe ich mir diverse Fachrichtungen überlegt und angesehen. Ich wollte sehr gerne in der Chirurgie oder Radiologie Fuß fassen, mit dem Ziel früher oder später meine eigene Praxis zu gründen. Nach Abschluss meiner Turnusausbildung habe ich jedoch festgestellt, dass es nur sehr wenige Kassenstellen für diese Fächer gibt. Aus Mangel an Alternativen habe ich mich nach dem Turnus für das Diplom der Sportmedizin und Osteopathie entschieden. Somit hatte ich die besten Voraussetzungen eine Wahlarztpraxis zu gründen und selbstständig zu arbeiten. Außerdem betreue ich auch Patientinnen und Patienten in der Osteoporose Ambulanz und habe somit ein Beschäftigungsverhältnis als Angestellter und kann direkte Vergleiche zwischen Anstellung und Selbstständigkeit ziehen.

Was sind deiner Meinung nach die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Selbstständigkeit?  Welche Schritte müssen beachtet werden und welche Stolpersteine gibt es?

Meiner Meinung nach sind die besten Voraussetzungen ein starker Wille und die Hingabe für den Beruf. Während die Arbeit als Angestellter nach dem Feierabend beendet ist, muss ich mir im Klaren sein, dass ich als Selbstständiger zwei Rollen einnehme: ich bin Unternehmer und Arzt. Dies bedeutet, dass ich wissen muss, wie ich meine Ordination führe und auch viel kaufmännisches Wissen dazulernen muss. Die Ärztekammer bietet diesbezüglich leider nur ein kostenpflichtiges Seminar zur Praxisgründung an. Ich muss mich auch mit vielen juristischen und kaufmännischen Themen auseinandersetzen: Was sind meine Ausgaben/Kosten? Welche Materialien benötige ich? Wie viel Umsatz ist nötig, um die Kosten zu decken? Welche Werbemaßnahmen sind notwendig, damit die Menschen auf mich aufmerksam werden? Wer ist meine Zielgruppe?  Vor der Gründung der eigenen Praxis stellte ich mir auch die Frage nach dem passenden Standort. Jedoch ist mit guter Planung, einer guten Marke und einer richtigen Strategie die Frage nach dem Standort nicht so relevant. Vielmehr sollten Ärztinnen und Ärzte sich fragen, ob eine Kassenstelle frei ist oder ob sie als Wahlarzt tätig werden wollen.

Was würdest du deinen Kolleginnen und Kollegen im Bezug auf die Praxisgründung weitergeben?

Grundsätzlich würde ich meinen Kolleginnen und Kollegen weitergeben, dass man als Unternehmer und Arzt plötzlich mit Dingen konfrontiert ist, die man im Krankenhaussetting so nicht mitbekommt. Viele zusätzliche Aufgaben (Steuern, Terminvereinbarungen, Mietverträge, Rechnungen, Werbung etc. ) sind zu erledigen. Leider wird man auf der Uni nicht über die Möglichkeiten der Selbstständigkeit informiert bzw. auf die betriebswirtschaftlichen Herausforderungen hingewiesen. Somit ist eine gezielte Vorbereitung und Planung das Um und Auf für eine erfolgreiche Selbstständigkeit.

Was sind deiner Meinung nach Gründe dafür, dass sich viele junge Ärztinnen und Ärzte eine Selbstständigkeit nicht zutrauen?

Ich denke, ohne eine Kassenstelle trauen es sich viele nicht zu. Außerdem fehlt es jungen Ärztinnen und Ärzten auch an Erfahrung, da sie als junge Assistenzärztinnen und –ärzte auch im Angestelltenverhältnis oft ins kalte Wasser geworfen werden und plötzlich viele Entscheidungen allein treffen müssen. Natürlich bietet eine Anstellung noch immer die Möglichkeit, bei Kolleginnen und Kollegen und Mentorinnen und Mentoren nachzufragen. Dieses Nachfrageorgan fällt im niedergelassenen Bereich natürlich weg. Somit kommt die Frage „bin ich gut genug?“ oft auf.

Ich habe das Glück, dass ich Tür an Tür in einer Art „Praxisgemeinschaft“ (jedoch jeder auf selbstständiger Basis) arbeite und somit die Möglichkeit habe, mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Ein weiterer Aspekt ist, dass es jungen Ärztinnen und Ärzten an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen fehlt. Dadurch entstehen auch Ängste vor der Selbstständigkeit, denn eines ist klar: gehe ich in ein Angestelltenverhältnis, kann ich dort als Arzt arbeiten, gehe ich in die Selbstständigkeit, muss ich zusätzlich als Unternehmer arbeiten.

Wie kann man jungen Ärztinnen und Ärzten diese Zweifel nehmen?

Ich denke es ist ganz wichtig, dass angehende Ärztinnen und Ärzte sich ständig selbst reflektieren. Wie war die Ausbildung bisher? Was fällt mir noch besonders schwer? Wo habe ich meine Probleme und Defizite (aus therapeutischer und anamnestischer Sicht)? Es ist wichtig sich diese Defizite einzugestehen. Warum sollen Leute zu mir kommen? Wer kann von mir profitieren? Bin ich sattelfest oder habe ich das „Gefahr in Verzug Gefühl“? Kann ich Dringliches von weniger Dringlichem unterscheiden? Solche Fragen sollten sich junge Ärztinnen und Ärzte stellen. Erst wenn man ein gutes Gefühl entwickelt hat, ist der Schritt in die Selbstständigkeit sinnvoll.

Wie gelingt dir deine Work-Life-Balance trotz Selbstständigkeit und Anstellung?

Ich muss ehrlich sagen, dass es speziell am Anfang mit einer Work-Life-Balance sehr schwierig ist. Die Selbstständigkeit bedeutet gerade zu Beginn sehr viel Arbeit, denn ich muss mir eine Ordination einrichten, einen Patientenstamm aufbauen und mich auch um alle administrativen Dinge kümmern. Ich bin sozusagen „Mädchen für alles“. Ich erledige die Terminvergabe, Telefonate und Vor- und Nacharbeiten selbst, denn eine Sprechstundenhilfe würde zusätzliche Kosten verursachen, die gerade in der Anfangszeit eine Mehrbelastung darstellen. 

Welche positiven Aspekte der Selbstständigkeit gibt es?

Die Selbstständigkeit bringt aber auch viele positive Aspekte mit sich. Ich habe an Wochenenden und an den Feiertagen frei und muss auch keine langen Dienste im Krankenhaus mehr machen. Nachtdienste fallen auch weg. Aber durch meine zusätzliche Anstellung in der Osteoporose Ambulanz (28h/Woche) arbeite ich dennoch rund 50-60 Stunden pro Woche. In den letzten zwei Jahren hatte ich gerade einmal zwei Wochen Urlaub. Bei der freien Einteilung der Termine in der Praxis ist es wichtig, dass ich auch mal Nein sage, selbst wenn dadurch ein innerer Konflikt entsteht, da ich mir einen Kundenstamm aufbauen muss. Um dennoch eine Work-Life-Balance zu haben, würde ich jedem raten seinen persönlichen Ausgleich zu finden. Meinen persönlichen Ausgleich finde ich beim Sport (v.a. CrossFit).

Was muss eine Ärztin/ein Arzt für die Selbstständigkeit mitbringen?

Für die Selbstständigkeit ist es besonders wichtig strategisch zu denken. Eine gute Planung und Organisation sind ebenfalls sehr wichtig für den Erfolg. Zwei Fragen sollte man sich hierbei immer stellen: Was will ich und was brauche ich, um dies zu erreichen? Aus Erfahrung von Kolleginnen und Kollegen weiß ich, dass es ca. 3-5 Jahre dauern kann, bis die Ordination (wie in meinem Fall als Wahlarzt) ausgelastet ist, sich die Kosten decken und ein Patientenstamm aufgebaut ist. Übernehme ich hingegen eine Kassenstelle, übernehme ich auch den Kundenstamm, wodurch viel Arbeit in das Kennenlernen der Patientinnen und Patienten sowie in die Durchsicht der Unterlagen gesteckt werden muss. Ich spare mir dann jedoch wiederum die Werbekosten. Kolleginnen und Kollegen haben mir berichtet, dass es auch hier rund 2-3 Jahre dauern kann, bis sie mit allen Patientinnen und Patienten sowie deren Anliegen vertraut sind.

Wie nutzt eine Ärztin/ein Arzt die Übergangsphase zwischen Anstellung und Selbstständigkeit am Besten?

In dieser Phase ist es sehr sinnvoll sich weiterzubilden und in seinem Fachgebiet sattelfester zu werden. Fort- und Weiterbildungen sind mir persönlich ein großes Anliegen, um meinen Horizont zu erweitern. In einer Krankenhausanstellung habe ich stets die Arbeit im Team genutzt und von dem ständigen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen profitiert. In der Selbstständigkeit trage ich plötzlich sehr viel Verantwortung allein und muss Akutes, Dringliches, Gefährliches von weniger Dringlichem unterscheiden können.

Ich befinde mich gerade noch in der Übergangsphase zwischen Anstellung und reiner Selbstständigkeit. Aus unternehmerischer Sicht ist es meiner Meinung nach äußerst wichtig, gerade in der ersten Zeit eine Anstellung zur finanziellen Teillösung zu haben. Dieses monatliche Fixum fällt in der reinen Selbstständigkeit dann natürlich weg. Hier gilt es zu überlegen, wie lange man sich die Anstellung beibehält. Natürlich sind eine Anstellung und die Selbstständigkeit eine doppelte Belastung, jedoch wird man bei einer kompletten Abnabelung ein zweites Mal ins kalte Wasser geworfen und plötzlich mit Mehrarbeit und ohne monatliches Fixum konfrontiert.

Würdest du einer jungen Ärztin/einem jungen Arzt eher raten eine Praxis in der Stadt oder auf dem Land zu gründen?

Jeder sollte seinem eigenen Wunsch nachgehen und sich fragen, was er erreichen möchte. Diese Entscheidung sollte nicht übereilt getroffen werden. Ich spreche hier von Wochen und Monaten. Ich darf auch keine utopischen Vorstellungen haben und muss eine Kompromissbereitschaft zeigen. Als Landärztin/-arzt sollte man in der Regel auch samstags und sonntags erreichbar sein. Wenn man dafür bereit ist, dann „go for it.“ Möchte ich jedoch meine Freizeit nicht „opfern“, dann ist eine Praxis im Stadtgebiet realistischer. Grundsätzlich ist diese Entscheidung, wie auch bei der Fachrichtung, von jedem individuell zu treffen.

Wir bedanken uns herzlich für die Beantwortung unserer Fragen zu diesem äußerst interessanten Thema.